Geschichtliche Entwicklung
(Auszug aus dem Buch «Ortsgeschichte Höngg», 1998, von Georg Sibler)
Wo die Menschen wohnten, die in der Jungsteinzeit (ca.4000 bis 2000 v.Chr.) im späteren Gemeindebann Höngg zwei Steinbeile verloren haben, wissen wir ebenso wenig, wie wir die Wohnstätten der Leute kennen, die (um 650 v.Chr.) ihre Toten unter den heute noch erkennbaren Grabhügeln im Heizenholz bestattet haben oder der Menschen, die in der Römerzeit (ca. 15 n.Chr. bis 400) an verschiedenen Stellen des heutigen Stadtquartiers Zürich-Höngg Münzen verloren haben.
Wir dürfen annehmen, zwischen 500 und 700 hätten alamannische Einwanderer an der Stelle des späteren Dorfes eine erste Siedlung gebaut. Diese lebte zunächst ausschliesslich von Ackerbau und Viehzucht zur Selbstversorgung. Später kamen einige Fischer am Limmatufer hinzu, sowie einige Handwerker im Dorf. Seit spätestens etwa 1300 (erste urkundliche Erwähnung 1318), wahrscheinlich schon einige hundert Jahre früher, pflanzten die Höngger an den ganzen sonnigen Hängen zwischen Limmat und Waldrand Reben; bis gegen 1900 blieb der Weinbau für Höngg wichtigster Erwerbszweig, also mindestens 600 Jahre lang.
Die erste urkundliche Erwähnung von Höngg datiert von 858. Die Kirche ist eine der ältesten in der Region, wohl älter als Grossmünster (um 800) und Fraumünster (853) und diente jahrhundertelang auch den Bewohnern von Regensdorf (bis 1529), Affoltern (bis 1683) und Oberengstringen (bis 1976). Das Kirchenschiff erhielt 1703 die heutige Form, der Turm 1863.
Wichtigste Grundeigentümer waren im Mittelalter das Grossmünster, das Kloster Einsiedeln und später weitere Klöster, sowie immer mehr Einzelpersonen aus der Stadt Zürich. Diese waren vor allem an Reben interessiert, wie schon vorher die Klöster. Das bewirtschaftete Land hatte im Jahre 1800 folgende Besitzer:
- Rund 170 Höngger besassen ca. 805 Jucharten, darunter ca. 50 % der Rebfläche
- 8 Klöster besassen ca. 410 Jucharten, darunter ca. 30 % der Rebfläche
- Rund 50 Stadtzürcher besassen ca. 105 Jucharten, darunter ca. 20 % der Rebfläche. Knapp 1/3 dieser 50 hatten in Ältestes noch vorhandenes Beispiel für einen ihren Grundstücken einen Landsitz in Höngg: «Roter Ackerstein» Sommer-Wohnsitz (sogen. Limmattalstrasse 9, erbaut 1674 («Landsitze»).
- Die Gemeinde Höngg besass ca. 400 Jucharten (350 Jucharten Wald, 50 Jucharten Wiese).
- Total ca. 1'720 Jucharten à je 23 bis 36 Aren (je nach Kulturart) à je 100 Quadratmeter.
Als Inhaber der gerichtlichen Befugnisse begegnen uns ab 1264 (ältere Belege fehlen) verschiedene adelige Herren, 1365 das Kloster Wettingen (dieses behielt das Pfarrwahlrecht bis 1837, das Zehntenbezugsrecht bis 1833/59, die Unterhaltspflicht für den Kirchturm bis 1862), 1384 die Stadt Zürich (Höngg ist eine der ersten Erwerbungen auf der Landschaft, blieb bis 1798 «Obervogtei», betreut durch Zürcher Ratsherren).
Seit mindestens 1338 (Aufzeichnung der vermutlich viel älteren «Offnung» = Gemeindeordnung) hatten die «Dorfleute» verschiedene Rechte. Es ist dies eines der ältesten Zeugnisse lokaler Selbstverwaltung im ganzen europäischen Raum, eine Wurzel der «Gemeinde». Diese erhielt mit der Französischen Revolution (in der Schweiz 1798) vermehrte Befugnisse. Mit der Eingemeindung in die Stadt Zürich ging Ende 1933 diese Selbstständigkeit zu Ende. Die Meinungen dazu waren geteilt. Die «alten Höngger» und der Grossteil des Gemeinderats waren dagegen, die in den Jahrzehnten seit etwa 1850 vermehrt zugezogenen neuen Schichten waren meist dafür. In der Abstimmung von 1931 stimmten 76 % dafür, 1933 dann aber 58 % gegen die neue Gemeindeordnung; die Gesamtheit der Stimmberechtigten war also zwar mit grossem Mehr grundsätzlich für die Eingemeindung, aber mit knappem Mehr gegen die Einzelheiten. Seither bildet Höngg zusammen mit dem schon 1893 zur Stadt gestossenen Wipkingen den Stadtkreis 10.
Die in der nebenstehenden Kolonne aufgeführten Zahlen zeigen die langsame aber sehr deutliche Umschichtung der Bevölkerung, den Wandel vom Rebbauerndorf zum Wohnquartier. Die Rebfläche von ca. 370 Jucharten = ca. 120 Hektaren um 1800 schwand bis um 1900 langsam, dann rapid auf 8 Hektaren bei der Eingemeindung (1934) und 2,5 Hektaren um 1960 (im Rütihof und im Riedhof; am Kirchenhügel 1942 letzte Reben gerodet, ab 1968 Neuanpflanzung), um dann bis 1986 wieder zu steigen auf 8 Hektaren (wie 1934).
Gleichzeitig wurden immer mehr neue Wohnungen gebaut. Wohnhäuser bedecken heute fast die ganze Fläche des Quartiers. Gewerbe und Industrie hatten nie grosse Bedeutung, heute noch weniger, als vor hundert Jahren.
Das alte Dorf ist kaum mehr zu erkennen. Es wird begrenzt durch die Kirche, die Firma Zweifel, das Ortsmuseum und das Haus zum Weingarten. (Haus Zweifel, Regensdorferstrasse 20, älteste Teile 1635; Ortsmuseum, Vogtsrain 2, erbaut 1506 als Pächterhaus für das Fraumünster, schräg gegenüber steht das älteste erhalten gebliebene Privathaus von Höngg, Gsteigstrasse 22, erbaut 1525; noch weit ältere Hölzer, die ältesten in Privathäusern aller Zürcher Aussenquartiere, verbergen sich im Haus «Schlössli», Limmattalstrasse 191, sie stammen aus dem Jahr 1360; im «Waser-Haus», Limmattalstrasse 209, stammen einige Deckenbalken im Erdgeschoss aus dem Jahre 1473; der «Weingarten», Limmattalstrasse 161, wurde 1740 als Landsitz einer städtischen Familie erbaut am stadtseitigen Dorfrand, direkt neben dem Meierhof des Grossmünsters, Limmattalstrasse 169, mit ältesten sichtbaren Teilen von 1521, heutige Form 1661).
Das frühere Dorfleben hat seine Fortsetzung gefunden in zahlreichen Vereinen verschiedenster Art, wie es sie überall gibt. Die ältesten sind: Männerchor (1828), Schützenverein (1864, Vorläufer seit 1626 bekannt), Musik (1881). Spezialitäten von Höngg sind der Verschönerungsverein (1904 gegründet, als einziger derartiger Verein in einer zur Stadt Zürich geschlagenen Gemeinde bei der Stadtvereinigung nicht aufgelöst; betreibt seit 1925 auch das Ortsmuseum), die Zunft (seit 1934) und der Quartierverein (1937 gegründet, grösster Quartierverein in Zürich). Über die Quartiergrenzen hinaus bekannt ist das seit 1973 jährlich durchgeführte Wümmetfäscht.